Interview mit NN&B v. Kerstin Kellermann

„Punk ist für mich extremer Rock 'n' Roll“

Di, 10.01.2012

Die dreiköpfige Damen Band „Norah Noizzze“ sieht sich in der Tradition der „Riot Girrrlz“ Bewegung und lotet die Verbindungen zwischen Feminismus und Punk aus. Norah Noizzze versteht sich als Gegenmodell zu weiblicher „Singer und Songwriterei“ und erfreut sich an Ladyfesten, Girl Rock Camps, Queercore-Varianten und Performance. Im Februar werden Songs aufgenommen und ein Label gegründet.

Ein Interview von Kerstin Kellermann

für MICA, am 10.1.2012
http://www.musicaustria.at/magazin/norah-noizzze/punk-ist-fuer-mich-extremer-rock-n-roll


In welcher Tradition seht ihr euch? Von Frauen-Musik her, Gender, New Wave, Punk – in welcher Linie?

Helga: Die „Riot Girrrl“ Bewegung, in deren Traditionslinie ich uns sehe, kommt aus den USA und eine der Bands, die damit begonnen haben, war Bikini Kill. Viele Musikerinnen deuteten dann den Begriff von „Girl“ um, die Musik sollte von der Frauenmusik weg und ein bisschen hinein in den Punk gehen. Es wurde nicht mehr mit dem Begriff „Frau“ operiert, weil der sich vom Feminismus her so stark auf die Mittelschicht hin orientierte. Es gab sehr viel Mainstream-Feminismus und so begannen einige damit, den Begriff „Girrrl“ einzuführen und das „Riot“ vorzusetzen und damit widerständige Praxen einzuführen in die Bühnenperformances und den Feminismus umzudefinieren.

Aurora: Weg von diesem Lieblichen und Netten in der Frauen Musik, dem schönen Gesang und hin zu wild und verzerrt, wildem Gesang..., der sonst zum Großteil als männlich bezeichnet wird.

Aber hat es jemals solche Frauenbands gegeben, die so lieblich waren? Außer die Hip Hop Band Tic Tac Toe oder andere eher kommerzielle Bands?

Aurora: Kommerzielle Frauenbands, das bedeutet oft nur eine Frau hinter dem Mikrophon, sonst alles Männer. Man fragte sich auch, was bedeutet überhaupt weiblich oder feminin?

Iris: Wir haben uns im Ladyfest Context getroffen, das war die spätere „Riot Girrrl“ Bewegung, könnte man sagen. Feministischer Punk, wobei jede sich selbst und die Band nicht glatt in einer Tradition sieht, in die wir uns einfügen, sondern eher in einem Spannungsfeld. Wenn ich einen Song schreibe, gibt es so englinige Drei Akkord Sachen, auf der anderen Seite frage ich mich, habe ich jetzt die Hörgewohnheiten des Publikums damit genug heraus gefordert? Und habe fast ein schlechtes Gewissen dabei. Es gibt den Hang zum Eingängigen, aber auch den Wunsch die Sachen gegen den Strich zu bürsten. Was da heraus kommt, ist Norah Noizzze und Band - abseits der Kommerz Schiene. Ich kenne auch andere Bands, die für mich eine Rolle spielen – Ausläufer der Punk und Post Punk Bewegung, die versuchten, Musik neu definieren, abseits von diesem 12 Ton Schema und Drei Akkord Schema und Verse Chorus Verse Schema – vielleicht frühe 80er Jahre No Wave Schema in New York, Lydia Lunch und Co. Wo versucht wird, die Sequenzen von Rock n' Roll zu unterlaufen. Punk ist für mich nichts anderes als sehr extrem gespielter Rock n' Roll, aber eben noch Rock n' Roll, der erweitert oder gesprengt wird. Wir haben auch einen Song „Get out of Tune“, der darauf basiert, in Tremolo die ganze Zeit irgendwelche Töne zu erzeugen, die abseits vom gängigen Schema sind. Erst im Refrain wird es wieder eingängig.

Helga: Für mich ist der Punk schon ein Punkt, aber das Sprengen von Musik Schemata eigentlich nicht.

Aurora: Ich finde, wir behalten schon die Verse Chorus Verse dabei. Wir bleiben schon in der klassischen Liedform.

Ihr covert ja zum Teil Punk Songs..., aber ihr macht auch eigene Kompositionen?

Iris: Wir covern nicht nur Punk Songs, sondern auch andere Songs. Wir haben da z.B. von der französischen Compilation „All that she wants“ als Cover gemacht...

Das ist ja sehr gut angekommen beim Konzert im Rhiz. Habt ihr das nicht dreimal spielen müssen?

Iris: Genau. Für mich persönlich war das der Versuch „Eurodance“ zu machen - also Eurodance ist das nicht, das war später, sondern so eine Dancefloor Geschichte in den europäischen Hits der 80er, 90er Jahre...

Helga: Also, so bissl Hits! (lacht) Wie eben europäische Hits halt Hits sind...

Iris: Also „The Snap“ etc. Um dem einen anderen Drive zu geben ganz einfach.

Helga: Aber sich positionieren innerhalb der Traditionen ist schwierig...

Also du siehst das schon so, als ob die Bewegung mit den Riot Girrrrlz Bands ein Neuanfang war? Weil ich z.B. habe diese Bands nie so gesehen.

Helga: Traditionen können feministisch genealogisch unterschiedlich interpretiert werden..., man positioniert sich mehr so quer rein. Wichtig für uns war auch, das mit dem Ladyfest ist ja nicht nur eine Musik Bewegung sondern eine politisch theoretische Bewegung und deswegen spielten bei den Ladyfesten ja immer Bands verschiedenster musikalischer Richtungen.

Iris: 2000 war das erste Ladyfest in Olympia, in Wien war 2004 das erste. Wir haben zwar in Wien das erste gemacht, aber wir haben es nicht erfunden.

Helga: Wir haben es doch nicht erfunden? (lacht)

Iris: Auch wenn wir das Gefühl haben.

Helga: Also das erste Ladyfest fand in Olympia statt, wo sehr viele Bands beheimatet sind, Sleater Kinney und Bratmobile. Huggy Bear sind eine der ersten Riot Grrrls Bands aus London. Team Dresch und auch Tribe 8 sind Begründerinnen des Begriffs „Queercore“. Wie die Bewegung dann nach Europa geschwappt ist, hat sich das mehr in Richtung Queer-Movement entwickelt. Queer Core nannte sich dann diese Richtung. Es gab dieses Label „Mr. Lady Records“, bei dem die meisten Bands organisiert waren, z.B. Le Tigre brachten dort einige ihrer CDs heraus. So viele Bands waren das gar nicht, aber die machten so gemeinsam Druck.

Iris: Es gab bei den Ladyfesten immer starke Diskussionen in den Organisations-Teams, wie man sich positioniert..., wie stark man sich in einer traditionell feministischen Tradition verortet.  

Helga: In weiterer Folge entwickelten sich dann auch diese „Girls Rock Camps“, wo das Erste für Österreich heuer in Niederösterreich statt fand. Ich finde das ja wirklich lustig, das diese Mädels-Band vom Camp dann im Rhiz auch Rebel Girl von Bikini Kill gecovert hat, die Band nannte sich Rentothing. Aurora hat sie  gecoacht. Das war der Ur Riot Girrrl Song, den ich damals noch auf Kasette hörte! Das war für mich ambivalent, dass die diesen Song spielten, denn der ist so alt und stimmt schon gar nicht mehr, den gibt’s schon gar nicht mehr, auf der anderen Seite hat er bei mir Nostalgie ausgelöst. Er hat schon so eine Urpower!

Diese weiblichen Punk Bands, die es in der Ägidigasse gab, wie Potschemuh oder Piranhas beeinflussten die euch? Kanntet ihr die?

Helga: Ich nicht. Nur die Mädchen Punk Band „Bloody Mary“, die habe ich damals im EKH gehört.

Iris: Ich kenne da auch eine ganze Menge nicht (lacht). Wobei ich 1996 im Flex, bei einem ihrer letzten Auftritte in Europa, Bikini Kill gehört habe. Punk ist ein weites Feld und hat für mich sehr viel mit dem Ansatz zu tun, wie produziert man, in wieweit übernimmt man Klischees der Musikindustrie, die Produktionsmechanismen, Sound Ästhetiken der großen Musikindustrie..., inwieweit versucht man sie zu biegen und zu brechen und was setzt man dann wieder ein. Ich finde Bands ganz spannend, wie z.B. The Jesus and Mary Chain – sehr klassisch – die machen zum Teil wirkliche Kakophonien, unter denen sind ganz schöne Pop Melodien begraben (lacht). Das finde ich sehr spannend, die zu entdecken und vom Anspruch her auch, weil sie in einem Interview meinten, sie hatten immer das Ziel, nicht in kleinen Klubs vor 30 Leuten zu spielen, sondern in Stadien Stadionrock zu machen, was sie nie geschafft haben, aber in großen Hallen spielten sie schon. Ich denke, ja, das ist halt schon ein spannender Anspruch, eine Sache, die anders klingt, vor vielen Leuten bekannt zu machen. Daher verbinde ich Punk nicht mit so Bands, die nie mehr als 50 Fans haben dürfen, sonst sind sie nicht mehr Underground, sondern für mich geht es um den Ansatz wie versucht man sich von einer gewissen Form von Musikindustrie zu emanzipieren und wo geht man dann doch wieder Kompromisse ein. Ich finde es lustig, alte „The Monkees“ Songs zu covern, wie „I'm Not Your Steppin' Stone“.

Für mich persönlich war Feminismus und Punk erst getrennt, ich spielte bei der Frauenband „Die Suffragetten“ und bei der Punk Band „Johannes Paul und die Ewigen Zweiten“, dann versuchte ich das zu verbinden, denn Punk bedeutete für mich, sich aufführen zu dürfen als Frau. Gleichzeitig war Punk damals sehr männlich bestimmt, oft war ich die einzige Frau auf der Bühne. Meine nächste Frage: Ihr habt bei euren Auftritten oft einen eigenen Stil, so provokant und humorvoll, verkleidet euch – woher kommt das, was bedeutet das?

Aurora: Ich lernte das erst mit Norah Noizzze kennen, sich etwas zu überlegen, wie man auf der Bühne aussieht oder überhaupt zu performen. Ich kam dann drauf, dass Performance unter Umständen nicht weniger ausmacht als das Musikalische auf der Bühne. Ich denke viel darüber nach und bin noch nicht zum Schluss gekommen, was für mich die perfekte Performance wäre. Performance kann sehr humorvoll sein, unsere Texte  sind auch sehr humorvoll und ich finde es gut, sich nicht so ernst zu nehmen. Auf der Bühne bin ich nun mal anders..., dann kann ich mich maskieren, mir hilft das voll hinein zu kippen und mit geschlossenen Augen Schlagzeug zu spielen...

Iris: Wie eine Punk Räubersbande setzt sich auch Norah Noizzze vor der Arbeit die Masken auf...

Helga: Bei unseren ironischen, politischen, queeren Texten kann man nicht einfach so auf der Bühne stehen und so tun als ob das echt wäre. Das soll ambivalent rüber kommen. Wir tun ja konterkarieren.

Iris: Ich finde es langweilig, ohne Augenzwinkern zu präsentieren. Ich versuche z.B. bei dem Song   „Masturbates Motel“ Stand Up Comedy zu machen.

Du hast als Solo-Performerin begonnen?

Iris: Beim Ladyfest 2007 hatte ich Lust, ein paar Songs zu performen. „Palslut“ hieß eine Band, die im Frauencafe gegründet wurde und wieder zerbrochen ist. Dann gab es Auftritte mit Helga und eines wunderschönen Abends im Marea Alta tauchte Aurora auf...

Aurora: Ich hatte dich auf Radio Orange gehört, denn du hattest eine Musikerinnen-Plattform gegründet. Ich wusste, dass du das bist.

Helga: Wie hieß denn diese Musikerinnen-Plattform?

Iris: Die gibt es nicht mehr. Weil die zweite nach Berlin auswanderte (lacht) . Sue von „Sue to You“ war das. Ich war dann bei den Treffen immer alleine (alle lachen). Ich wollte das dann nicht mehr weiter machen.

Ihr tretet wirklich sehr oft auf. Ich habe bei insgesamt neun Konzerten von euch Guest Drummerin gespielt. Wo war euer schönster Auslands Gig?

Iris: Wir waren in München, Dresden, Potsdam, Prag - Tabor war toll. In Prag empfingen uns die Veranstalterinnen wie die großen Rockstars. Wir hatten ein Gefühl, wie einen Vertrag mit Sonic Music zu haben (lacht). Dann haben wir für Gottes Lohn gespielt und es gibt ja bekanntlich keinen Gott... da kriegten wir einen Vorgeschmack darauf, was es heißt eine große Band zu sein.

Aurora: Ein Interview mit uns kam dann im staatlichen tschechischen Fernsehen, das muss man auch mal sagen – da gibt es so 15 queere Minuten in der Woche.

Als Teil welcher Szene seht ihr euch?

Helga: Unser Label „Unrecords“ wird gerade gegründet. Wir sind oft mit Pop:sch und Rae Spoon (Canada)  aufgetreten, die sind alle an uns vorbei gezogen.

Iris: Jetzt nehmen wir Anlauf und nehmen im Februar Songs auf. Eine CD oder Vinyl... Nein, wir machen eine Sonderedition „Edisons Schallwalze“, die können dann die drei Menschen, die in Museen mit Phonographen arbeiten, abhören (lacht). Wir sind schon Teil der queeren Szene...

Aurora: Dieser feministische „Fuck You“ Laden in Berlin...

Helga: Wir sind, glaube ich, in der „Queer Ear“ Szene... (lacht)

Wegen euren eigenen Liedern...

Iris: Wir haben hauptsächliche eigene Lieder. Es ist immer eine gemeinsame Arbeit. Oft ist es so, dass irgendwer daher kommt und sagt, ich habe einen Song, das bedeutet dann Unterschiedliches: Wenn die Helga daher kommt, dann ist der Song total ausgearbeitet und wenn ich sage, ich habe einen Song, dann habe ich einen Text und Fragmente, ein, zwei Riffs und eine Idee, wie das klingen soll und ich sage, wir sollten daran arbeiten... Jetzt habe ich gerade Lyrics für einen Song, da geht es um eine gescheiterte Liebesbeziehung (lacht), die in Wirklichkeit noch nicht gescheitert ist, aber im Song schon - das ist ein Song, der in sich zerfällt, im Laufe dessen dass man ihn spielt. Da trifft sich das Formale und das Inhaltliche. Es geht um eine Liebe mit Halbwertszeit, die immer mehr zerfällt und der Geigerzähler immer weniger ausschlägt... Und das ist dann wieder so dramatisch, dass ich das Gefühl habe, das muss witzig kommen.

Wollt ihr euch noch bei euren Fans bedanken, weil ihr so starke Fan-Bindung habt und die euch heiß lieben?

Helga: Ohne euch wäre es ziemlich leer im Publikum! (lacht)

Iris: Ohne euch wären wir nicht das, was wir sind! Wir haben sehr musikaffine Fans, die den Mix bei den Live Gigs beeinflussen, weil sie die Songs schon kennen.

Helga: Was bedeutet Queerness für die Musikszene, dazu will ich noch was sagen: Es gab Queercore, jetzt gibt es Gender Crash mit der Verbindung zu Performance – so wie die Stefanie Surreal oder die Denise oder Gini Müller, die vom Theater kommt, zwischen Musik und Performance, die bei SV Damenkraft war – die waren sehr prägend. Die haben ein Musical im Konzerthaus mit der Gustav gemeinsam gemacht. (Anm. Gustav, SV Damenkraft & Sissy Boyz – Orlanding The Dominant – Eine Queere Burlesque, Soundtrack gibt’s zu kaufen)

Iris: Die Leute aus der Szene ziehen weite Kreise: Ich habe neulich die Mika Vember auf Ö3 gehört. Oder Clara Luzia... Die Ladyfeste haben schon ein gewisses Klischee gefördert, dass nämlich viele Frauen mit Gitarre auf Singer/Songwriter auf der Bühne gestanden sind und das ist einfach zu produzieren, aber das war eine Art Standard Stil. Ich wollte diesen Stil konterkarieren, mit einer Drei-Personen-Band auf Punk, die keine Angst vor Krach hat.

Helga: Aber dieses Klischee gab es auch schon.

Iris: Gut, es gab immer First Fatal Kiss, nicht seit dem Urknall, aber schon sehr lange, aber diese ganze Singer und Songwriterei fand ich ein bisschen überdominant. Dann gab es Plaided, Petra und der Wolf als Crossover, wobei Clara Luzia auch als Singer, Songwriter anfing.

Helga: Aber jetzt ist sie keine mehr, sie ist eher Indie-Pop inzwischen, schön arrangiert. Ilsebill hat es auch gegeben, das Label heißt Fettkakao.

Iris: Im Frauencafe organisierte ich Konzerte, und viele waren auf dieser Singer/Songwriter Schiene  und deswegen kommt es mir jetzt so vertraut vor, wenn ich im Fernsehen bei „Die große Chance“ diese Christina Hödl sehe. Die ist genau in diese Richtung und diese Tradition.

News from/Nachricht von number_5_is_alive / 10 Jan 2012

Content Management Powered by CuteNews